Ansprache von Mag.a Katharina Prammer
Papst Franziskus kritisiert in der neuen Enzyklika Fratelli Tutti den Narzissmus. Dahinter verberge sich ein verschlossener Geist, der aus Unsicherheit und Furcht vor dem Anderen lieber Mauern errichtet. Demgegenüber bringt Franziskus mehrmals das Bild vom Polyeder. Er schätzt die Unterschiedlichkeit und Vielfalt – jede und jeder ist wertvoll; und betont: das Ganze ist mehr als die Summe der Teile.
Vielleicht ist das eine moderne Auslegung der 1. Lesung, in der die Weisheit, mit der Gott die Erde und den Himmel gegründet hat, gelobt wird.
Die Welt als Polyeder, manches unvorteilhaft, manches wohltuend, manches belastend, faszinierend, mittelmäßig, hässlich, genial; insgesamt aber ein Gesamtkunstwerk und jedenfalls mehr als die Summer der einzelnen Teile.
Die 1. Lesung aus dem Buch der Sprichwörter nennt auch die Menschen selig, die weise und einsichtig zu leben versuchen. Heute ist der Gedenktag des Hl. Leopold III. Möglicherweise war er, Babenberger, Markgraf von Österreich, 1075 (?)-15.11. 1136 so ein weiser Politiker.
Und das Gegenteil des im Evangelium vorgestellten Königs.
Dieser künftige König teilt seinen Untertanen Beträge zu, erledigt seine Geschäfte im Ausland, kehrt zurück und kontrolliert und beurteilt die Ergebnisse.
Die Deutungen des Gleichnisses lassen sich auch als Polyeder betrachten: Wir kennen die allegorische Deutung, wonach der König Gott sei, die Minen unsere Ausstattung und Jesus uns dazu ermutigt, daraus etwas zu machen.
Eine andere Polyederfläche ist eine Deutung, die ich vorstellen nun möchte: Ist Gott einer, der willkürlich zuteilt und wegnimmt? Ist das Reich oder „die neue Welt“ Gottes eine, in der Kapital, Leistung, aber auch Bequemlichkeit und/oder Angst, Belohnung und Bestrafung zählen? Würde Jesus von etwas Neuem erzählen, wenn in Gottes Welt Gutes und Böses, Erfolg und Misserfolg genauso gelten wie jetzt?
Der inhaltliche Kontext des heutigen Evangeliums ist die Zachäusgeschichte unmittelbar davor. Sie endet mit dem Satz „Der Menschensohn ist gekommen um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ In den Kapiteln danach schildert Lukas Jesu Weg nach Jerusalem … bis hin zur Ermordung.
Der politische Kontext ist folgender: Archelaus, ein Sohn Herodes des Großen, war noch tyrannischer als sein Vater (der, dem die Bibel den Kindermord in Betlehem zuschreibt). Jesus dürfte auf ihn anspielen. Als jüdischer König musste er seine königliche Würde vom Kaiser in Rom bestätigen lassen. Er war im Volk so verhasst, dass tatsächlich eine jüdische Gesandtschaft nachgeschickt wurde, die Klage gegen ihn erhob. Jesus schildert eine Gewaltherrschaft mit extremen Leistungsgedanken. Und der 3. Diener macht da einfach nicht mit!
So wie Zachäus ist er ein Verlorener, wie Jesus ein Gedemütigter. Das Gleichnis lenkt den Blick auf Solidarität mit den Ängstlichen, und auf jene Mutigen, die bei solchen schlimmen politischen und gesellschaftlichen Zuständen einfach nicht mittun.
Und wenn ich jetzt frage: was heißt das für mich in unserer vielflächigen Welt? Wofür soll ich mich einsetzen, was ist heute richtig und wo müsste ich Stopp sagen? Dann weiß ich es oft einfach nicht! Und da hilft mir der Gedanke aus dem Römerbrief: Der Geist nimmt sich unser an. Er tritt für uns ein, wenn wir nicht wissen, was wir in rechter Weise beten sollen.